«Einsamkeit ist kein Makel»

Jeder sechste Mensch fühlt sich einsam. Dazu Undine Lang* im UPK-«Brennpunkt».

 

Was ist eigentlich unter Einsamkeit zu verstehen?
Undine Lang:
Wir müssen ein bisschen unterscheiden: Einsamkeit kann ein subjektives Gefühl sein und sich jemand trotz bestehenden Kontakten einsam fühlen; Einsamkeit kann aber auch durch soziale Isolation entstehen, hier gibt es tatsächlich keine Kontakte. Kontakte können fehlen, weil jemand zum Beispiel den Anschluss nicht findet, die Lebenssituation sich ändert oder der Wohnort, gesellige Aktivitäten aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verfolgt werden können oder weil geliebte Menschen sterben. Einsamkeit kann jeden Menschen treffen.

Wie sieht es in der Schweiz aus?
Hier fühlen sich laut dem Schweizerischen Gesundheitsobservatorium (Obsan) viele Menschen einsam, oft ältere Menschen ab 85 Jahren, aber auch junge Menschen. Überdurchschnittlich viele 15- bis 34-Jährige geben an, sich «häufig» bis «sehr häufig» einsam zu fühlen.

Und wie wirkt sich das auf unsere Gesundheit aus?
Einsamkeit ist mit einem erhöhten Sterberisiko verbunden, wie eine aktuelle Studie im renommierten Fachjournal «Nature» bei circa 2 Millionen Teilnehmerinnen und Teilnehmern zeigt. Einsamkeit erhöht das Risiko für Krankheiten wie Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, was zu einer kürzeren Lebenserwartung führt. Studien aus der Herz-Kreislaufforschung deuten darauf hin, dass Einsamkeit sogar schädlicher sein kann für die Gesundheit als Rauchen, Übergewicht, Alkoholkonsum oder fehlende Bewegung.

Das Gesundheitsdepartement Basel-Stadt startet aktuell eine Kampagne gegen Einsamkeit bei jungen Menschen. Warum?
In Basel-Stadt gibt es innerhalb der Schweizer Kantone den höchsten Anteil alleinlebender Menschen – 47 Prozent Einpersonenhaushalte – und gleichzeitig die höchste Inanspruchnahme psychiatrischer Behandlung, was darauf hindeutet, dass hier Handlungsbedarf bestehen könnte. Aber nicht nur das Gesundheitsdepartement ist aktiv, es gibt entsprechend auch Initiativen der Elisabethenkirche, Predigerkirche, Quartiertreffpunkte, Selbsthilfe oder das «Offene Ohr». Auch das Theater Basel und andere Akteure engagieren sich gegen Einsamkeit in der Stadt.

Zürich kennt den Versuch des «Social Prescribing». Gibt es noch andere Rezepte, um der Vereinsamung entgegenzuwirken?
Letztlich bedeutet «Social Prescribing,» dass Menschen die Teilnahme an sozialen Aktivitäten wie zum Beispiel Sprachkursen, Tanzen oder Fussballspielen ermöglicht wird. In der Psychotherapie arbeiten wir in eine ähnliche Richtung. Wir definieren mit den Betroffenen ihren Lebenskompass, finden mit ihnen heraus, was ihnen wichtig ist und wofür sie stehen möchten. Daraus leiten wir gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten für sie sinnvolle Ziele und Aktivitäten ab. Auch wird versucht, die Fokussierung und Achtsamkeit zu steigern, indem zum Beispiel sinnstiftende Aktivitäten gezielter verfolgt werden. Beide Aspekte gehen mit sozialen Kontakten einher, da man Freundschaften oft unter Gleichgesinnten schliesst, sei es beim Sport, in der Natur, beim Tanzen, in der Kirche oder bei der ehrenamtlichen Tätigkeit.

Was unterscheidet Menschen, die Freunde haben, von anderen?
Die University of Michigan in den USA veröffentlichte eine Untersuchung, die rund 300 000 Personen einschloss: Bei Menschen, die angeben, Freunde zu haben, zeigte sich mehr Selbstwertgefühl und eine bessere psychische Gesundheit. Freunde schienen ein wichtigerer Faktor für die emotionale und psychische Gesundheit zu sein als die Familie, vor allem mit zunehmendem Alter.

Gilt das auch für Facebook-Freunde?
Bei Freundschaften sind verschiedene Aspekte zentral, der emotionale Support eines Gegenübers, der Support in schwierigen Situationen, das Verfolgen gemeinsamer Aktivitäten, aber auch die Reduktion gesundheitsschädlicher Verhaltensweisen. Eine weitere, kanadische Studie mit knapp 25 000 Teilnehmenden zeigte, dass das Wohlbefinden vor allem dann anstieg, wenn Freunde persönlich getroffen wurden. Also nicht dann, wenn mit Freunden nur telefoniert oder via Internet gechattet wurde. Also nein, vermutlich können Facebook-Freunde reelle Freundschaften nicht ersetzen.

Fällt es den Menschen oft schwer, sich einzugestehen, dass sie einsam sind?
Einsamkeit wird manchmal als Makel wahrgenommen oder selbstverschuldeter Zustand. Letztlich bedeutet Einsamkeit jedoch ein subjektives Gefühl, dass man sich tiefere, offenere und bedeutsamere Verbindungen zu anderen Menschen wünscht, als man sie hat.

Wie stark wird Einsamkeit durch das Geschlecht oder Alter beeinflusst?
Jüngere Menschen sind stärker betroffen. Bezüglich des Geschlechts gibt es vermutlich keine Unterschiede. In verschiedenen Befragungen sind Frauen stärker von sozialer Isolation betroffen, sie leben mehr in Städten, pflegen weniger ihre Hobbies, treiben weniger Sport, sind stärker in der Pflege von Angehörigen involviert oder in der Kindererziehung, verdienen weniger und leiden häufiger unter Depressionen, Schlafstörungen und Schmerzen. Allerdings gab es auch eine grosse Untersuchung, wo mehr als 46 000 Menschen im Alter zwischen 16 und 99 Jahren aus 237 Ländern befragt wurden und Einsamkeit eher indirekt erhoben wurde: dort waren mehr Männer einsam. Männer äussern das Problem vielleicht weniger explizit, wenn sie direkt danach befragt werden, ihre Einsamkeit ist in einigen Ländern sogar ausgeprägter.

Ist Einsamkeit ein gesellschaftliches Phänomen und abhängig vom Entwicklungsstand eines Landes?
Ja, scheinbar gibt es in kollektiven Gesellschaften dieses Phänomen weniger, zum Beispiel in China.

Wie bestimmend ist der soziale Status eines Menschen in Bezug auf Einsamkeit?
Es gibt Bevölkerungsgruppen, die stärker von Einsamkeit betroffen sind, so zum Beispiel Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen, die über weniger Geld verfügen, gesundheitlich belastet sind oder nicht so mobil.

Welche Schuld tragen Digitale Medien?
Soziale Medien sind ein Risikofaktor für Einsamkeit, gleichzeitig können natürlich Kontaktangebote durch digitale Plattformen, gerade auch für ältere Menschen, erleichtert werden.

*Prof. Undine Lang ist Direktorin der Klinik für Erwachsene (UPKE) und Privatklinik (UPKP) der UPK Basel.

Zum Thema Einsamkeit wird Undine Lang zusammen mit Dr. Victoria Block (Psychologische Klinikleitung UPKP) und Freija Geniale (Gesundheitsdepartement Basel-Stadt) am nächsten öffentlichen UPK-Podium «Mensch Psyche» am 9. Dezember 2025 zu sehen sein.

Notfallkontakt

Erwachsene:

Zentrale Aufnahme und Notfall Psychiatrie (24h täglich)
Universitäre Psychiatrische Kliniken (UPK) Basel
Wilhelm Klein-Str. 27, Basel
Standort
Tel. +41 61 325 51 00

Walk-In Ambulanz
Kornhausgasse 7, Basel
Montag bis Freitag,
8 – 16 Uhr
Standort
Tel. +41 61 325 81 81

Privatpatienten

Wilhelm Klein-Strasse 27, Basel
Standort
Tel. +41 61 325 52 08
Bei Notfällen ausserhalb der Öffnungszeiten:
Patientenaufnahme und Notfallpsychiatrie
+41 61 325 51 00

Kinder und Jugendliche:

Poliklinik
Kornhausgasse 7, Basel
Montag bis Freitag,
8 – 12 Uhr und 13 – 17 Uhr
Standort
Tel. +41 61 325 82 00

Bei Notfällen ausserhalb der Öffnungszeiten (24h täglich):
Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB)
Spitalstrasse 33, Basel
Standort
Tel. +41 61 704 12 12