«Oft ein Balanceakt»

Der «Brennpunkt» im Gespräch mit Klinikethiker Prof. Manuel Trachsel*.

Klinische Ethikerinnen und Ethiker unterstützen Patientinnen und Patienten, Angehörige und Mitarbeitende bei schwierigen ethischen Fragen. In der Psychiatrie stehen für sie Themen im Vordergrund wie korrekte Informierung über eine Behandlung, Grenzen der therapeutischen Möglichkeiten bis hin zu Massnahmen gegen den Willen. Oder: Wie verhalten sich alle Beteiligten in einer bestimmten Situation jeweils richtig?

Manuel Trachsel, woran orientieren Sie sich bei Ihrer Arbeit?
In meiner klinisch-ethischen Arbeit orientiere ich mich in erster Linie an den grundlegenden Prinzipien der biomedizinischen Ethik: also Respekt vor der Autonomie, Fürsorge, dem Nicht-Schaden und der Gerechtigkeit sowie deren konkrete Interpretation im Rahmen unserer gesetzlichen Leitplanken. Wichtig ist mir auch eine Orientierung am biopsychosozialen Modell; eine Person und ihre Erkrankungen sollten immer unter Einbezug von biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren betrachtet werden. Weiter stütze ich mich, wenn immer möglich, auf solide, evidenzbasierte Grundlagen. Zudem sind Augenmass respektive Verhältnismässigkeit und der Austausch mit meinen Kolleginnen und Kollegen äusserst wichtig.

Wie stark müssen Sie heute genderspezifische Fragen und ethnische/kulturelle Hintergründe bei Ihrer Arbeit berücksichtigen?
Als klinischer Ethiker war es für mich schon immer selbstverständlich, dass genderspezifische Fragen und ethnische/kulturelle Hintergründe in der täglichen Arbeit berücksichtigt werden müssen. Im Rahmen des ethischen Prinzips der Gerechtigkeit darf keine Person nur aufgrund von Merkmalen wie zum Beispiel Geschlecht/Gender, Herkunft, Kultur oder Sprache ungerechtfertigt anders als andere behandelt werden.

Was steht betreffend Psychiatrie und Ethik zuoberst auf Ihrer Agenda?
Ein Dauerbrenner in der Psychiatrie ist seit jeher das Spannungsverhältnis zwischen Freiwilligkeit und Druck respektive Zwang. Andere wichtige Themen sind der ethisch angemessene Umgang mit Patientinnen und Patienten, bei denen die Aussicht auf eine erfolgreiche Behandlung äusserst gering ist. Herausfordernd ist auch die ethisch angemessene Versorgung von Patientinnen und Patienten mit komplexen psychischen und somatischen Erkrankungen gleichzeitig. Weitere komplexe ethische Themen sind Anfragen zu assistiertem Suizid, der Umgang mit herausforderndem Patientenverhalten, der Umgang mit künstlicher Intelligenz wie zum Bespiel «Mental Health Chatbots» oder die Grenzen einer professionellen Therapiebeziehung.

Die Ethik ist die Wissenschaft der Moral – welches sind Ihre Wünsche in Bezug auf gesellschaftliche Änderungen diesbezüglich?
Bei allen Nachteilen hat die Covid-19-Pandemie einer breiten Öffentlichkeit gezeigt, dass wir als Gesellschaft nicht darum herumkommen, uns auch grundlegende ethische Fragen zu stellen. Ich wünsche mir, dass eine Mehrheit von Personen in unserer Gesellschaft bereit ist, sich auch mit unangenehmen, jedoch notwendigen ethisch-politischen Fragen zu befassen, um tragfähige moralisch gut begründete Lösungsansätze zu finden. Das betrifft über die Psychiatrie und Medizin hinaus etwa die Klimakrise, Extremismus, Populismus oder der Umgang mit Desinformation.

Was war für Sie die schwierigste Frage, mit der Sie in Ihrer beruflichen Zeit konfrontiert worden sind?
Da kommt mir keine einzelne Frage in den Sinn, sondern ganz viele verschiedene. Etwas vom Schwierigsten finde ich ethisch gut begründete Entscheidungen für oder gegen Zwangsernährung von Patientinnen mit schwersten, chronischen Anorexien, der Umgang mit dem Wunsch nach assistiertem Suizid von Patientinnen und Patienten mit psychischen Erkrankungen oder Entscheidungen beim Wunsch nach Schwangerschaftsabbrüchen in der Spätschwangerschaft. Unsere Arbeit gleicht oft einem Balanceakt.

*Prof. Manuel Trachsel ist Leiter der Abteilung Klinische Ethik am Universitätsspital Basel (USB), an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK) und am Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB). Er ist zudem Titularprofessor für Bio- und Medizinethik an der Medizinischen Fakultät der Universität Basel. Manuel Trachsel studierte zunächst Medizin, Psychologie und Philosophie an der Universität Bern. Es folgte eine mehrjährige klinisch-ärztliche Tätigkeit in verschiedenen psychiatrischen Kliniken sowie die Arbeit als Oberassistent an der Universität Zürich (Institut für Biomedizinische Ethik). Manuel Trachsel war zudem Gastwissenschaftler am «Bioethics Center» (University of Otago, Neuseeland) und Forschungsstipendiat am «Cedars Sinai Medical Center» (Los Angeles, USA). Er hat über 100 wissenschaftliche Artikel und mehrere Bücher publiziert. Zudem ist er Lead Editor des «Oxford Handbook of Psychotherapy Ethics».

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