Die UPK bieten seit sieben Jahren das Home Treatment – also die aufsuchende Behandlung im häuslichen Rahmen – an und gehören damit zu den Wegbereitern in der Region. Gibt es noch viel zu tun?
Christian Huber: In Basel verfügen wir schon über recht gute Kapazitäten in der ambulanten psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung, allerdings gibt es dennoch viele unterversorgte Patientengruppen. Wir müssen noch zu oft auf eine stationäre Behandlung zurückgreifen. Schwachstellen gibt es zum Beispiel in der Abstimmung der verschiedenen bestehenden Angebote. Auch das Begleiten von Patientinnen und Patienten beim Übergang von stationär zu ambulant ist anspruchsvoll.
150 Patientinnen und Patienten nutzen das Home Treatment der UPK. Was sind die bisherigen Erfahrungen?
Bei der Einführung wollten wir vor allem die poststationäre aufsuchende Behandlung etablieren. Hier ist es das Ziel, Menschen nach einer stationären Behandlung zu unterstützen und zu erreichen, dass sie eine tragfähige ambulante Versorgung erhalten, durch das Angebot selbst und mit unserer Hilfe. Dabei wurde rasch klar, dass wir uns an zwei Personengruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen wenden müssen: Patientinnen und Patienten mit einer langen Krankheitsgeschichte, die besonders viele Ressourcen benötigen. Das ist unser ««Home Treatment für High Utilizer». Bei ihnen geht es um eine zeitlich prinzipiell nicht limitierte Unterstützung, die ja nach Krankheitsphase unterschiedlich intensiv ausfallen kann. Und dann gibt es Personen, die keine solch lange Geschichte haben, aber dennoch Unterstützung beim Schaffen eines ambulanten Netzwerks und beim Übergang in die ambulante Behandlung benötigen. Hier bieten wir unser «Home Treatment zur Übergangsbehandlung nach stationärer Behandlung» an, eine intensive dreimonatige Unterstützung für die Übergangsphase.
Was bedeutet Home Treatment für die Mitarbeitenden?
Hauptziel beider Angebote ist es, erneute stationäre Behandlungen in Häufigkeit und Dauer zu verringern oder gar einer möglichen Fürsorgerischen Unterbringung vorzubeugen. Zudem wollen wir unseren Patientinnen und Patienten eine auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene und interprofessionelle aufsuchende Behandlung bieten, die ihnen nützt und mit der sie zufrieden sind. Das ist sehr intensiv und verlangt viel von unseren Mitarbeitenden ab.
Das Home Treatment ist in vielen europäischen Ländern seit Jahren eine wichtige Stütze in der psychiatrischen Grundversorgung. In der Schweiz ist das Angebot erst regional und mit Sonderfinanzierung möglich. In Basel will der Grosse Rat Basel-Stadt dieses Jahr über die Übernahme in den Regelbetrieb entscheiden. Warum tut sich die Schweiz hier eher noch schwer – und was bedeutet es für die UPK, falls der Entscheid der Politik negativ ausfällt?
Leider haben wir in der Schweiz noch zu oft Finanzierungsmechanismen, die eine Gesundheitsversorgung nach aktuellem Wissensstand nicht fördern. Ambulant vor stationär, integrierte Versorgung, aufsuchende Angebote, Prävention – wir wissen aus der Forschung schon lange, dass sich so eine bessere psychiatrische Versorgung realisieren lassen würde. Der Schwerpunkt der Finanzierung liegt jedoch weiterhin stark im stationären Sektor. Für eine aufsuchende Behandlung wie das Home Treatment gibt es noch wenig etablierte Finanzierungsmodelle und wir sind auf kantonale Lösungen angewiesen und natürlich sehr dankbar, dass wir hier politisch Unterstützung haben. Sollte der Entscheid negativ ausfallen, wird das sicherlich Auswirkungen auf das Home Treatment haben. Für die kantonale Gesundheitsversorgung wäre das in meinen Augen ein grosser Verlust.
Sie begleiten das Home Treatment an den UPK wissenschaftlich. Ihre Analysen zeigen, dass diese Angebote helfen, zukünftige stationäre Behandlungen und fürsorgerische Unterbringungen zu reduzieren. Es profitieren also alle davon, Patientinnen und Patienten, ihr Umfeld und die Gesellschaft?
So ist es. Wir konnten in den ersten fünf Jahren 278 Fälle in das Angebot für Heavy User und 971 Fälle in die Übergangsbehandlung aufnehmen. In beiden Gruppen kam es in den sechs Monaten nach Aufnahme zu weniger stationären Wiederaufnahmen, weniger stationären Behandlungstagen und weniger fürsorgerischen Unterbringungen gegenüber der Vergleichsgruppe. Die Patientinnen und Patienten waren mit der Behandlung zufriedener als die Vergleichsgruppe, und die Rückmeldungen der Angehörigen, der anderen Akteure in der Gesundheitsversorgung, des Projektbeirats und der Psychiatriekommission beider Basel waren durchwegs positiv.
Home Treatment kann also stationäre Behandlungen verkürzen oder gar ersetzen und führt zu weniger Behandlungsabbrüchen. Wie sieht ein Vergleich bezüglich Behandlungskosten aus?
Aus Literatur und Erfahrung wissen wir, dass sich die Behandlungskosten durch aufsuchende Angebote verringern lassen. Das gilt für die direkten Gesundheitskosten wie zum Beispiel die Verringerung der Wiederaufnahme in die stationäre Behandlung und insbesondere für die indirekten Kosten, wenn zum Beispiel jemandem der Wiedereinstieg in die Arbeit rascher gelingt. Die Informationen, die man benötigen würde, um den Gesamteffekt wissenschaftlich zu belegen, sind aber sehr schwer zugänglich. Insofern mussten wir uns aktuell darauf beschränken, auf die direkten Gesundheitskosten in unserer Klinik zu schauen. Diese sind gegenüber der Vergleichsgruppe deutlich niedriger.
Behandlung im häuslichen Umfeld – gibt es da manchmal auch Probleme mit der Privatsphäre der Patientinnen und Patienten?
In der Tat ist es ein grosser Vertrauensbeweis, wenn die Patientinnen und Patienten die Behandelnden in ihre private häusliche Umgebung einlassen. Eine Befragung, die wir dazu gemacht und auch veröffentlicht haben, zeigt, dass dies auch einer der stärksten Gründe ist, nicht am Programm teilzunehmen. Darum besprechen wir das mit unseren Patientinnen und Patienten ausführlich, schon in den ersten Terminen, die noch auf der Station stattfinden. Betroffene, die sich zuerst zurückhaltend gegenüber einer Teilnahme äusserten, berichten uns aber im Nachhinein, dass sich ihre Sorge als unberechtigt herausgestellt hat. Es gibt auch unser Angebot, dass wir Gespräche an einem neutralen Ort wie etwa in einem Park oder Café oder selten auf dem Klinikgelände durchführen können. So gelingt es uns, das Vertrauen über die Zeit zu festigen. Aber klar: ohne eine Bereitschaft von Seiten einer Patientin oder eines Patienten führen wir kein Home Treatment durch. Wir bleiben jedoch im Kontakt und bieten die Möglichkeit einer Teilnahme weiter an.
Was ist der grösste Vorteil des Home Treatments?
Eine Zusammenarbeit im häuslichen Umfeld, wo sich die realen Alltagsprobleme eines Patienten oder einer Patientin abspielen, eröffnet therapeutisch optimale Möglichkeiten.
Gibt es Situationen, in denen Home Treatment Ihrer Meinung nach keine geeignete Behandlungsform ist?
Ja, die gibt es. Wenn beispielsweise grosse Spannungen oder Probleme im häuslichen Umfeld existieren, dann ist das manchmal nicht der Ort, an dem die Patientinnen oder Patienten gesund werden können. Und wenn es zu schweren Fremdaggressionen kommt oder die Situation für die Angehörigen gar nicht auszuhalten ist, sollte man davon absehen. Die Situation kann sich aber ändern – und das Home Treatment im Verlaufe einer Behandlung eine gute Anschlusslösung sein.
Das Home Treatment wird von deutschsprachigen und internationalen Versorgungsleitlinien auch für die Krisenintervention und Akutbehandlung empfohlen. Wann ersetzt das Home Treatment die stationäre Psychiatrie?
Sie haben recht – auch schwere Krisen lassen sich im Rahmen von Home Treatment bewältigen. Mit unseren Angeboten nach der Entlassung aus der stationären Behandlung gelingt das oft zur Vermeidung weiterer Aufenthalte. Andere Angebote wie zum Beispiel die stationsäquivalente Behandlung (StäB) zielen darauf ab, direkt die erste Hospitalisierung zu verhindern und inhaltlich genau das gleiche zu machen, wie es eine stationäre Versorgung kann. Sie werden, wie gerade oben angesprochen, nicht in allen Fällen zum Einsatz kommen können, aber in den meisten. StäB gibt es im Kanton Basel-Stadt noch nicht, aber das wäre nach Übernahme unserer Angebote in die Regelversorgung der nächste logische Schritt, den wir planen möchten.
*Christian Huber ist stellvertretender Direktor der Klinik für Erwachsene und Chefarzt am Zentrum für Psychotische Erkrankungen (ZPE) an den Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel. An den UPK und der Universität Basel leitet er die Forschungsgruppe «Mental Health Services Research». 2022 wurde Christian Huber mit dem Inger-Salling-Preis ausgezeichnet. Letztes Jahr wurde er vom Stiftungsrat der Swiss School of Public Health (SSPH+) zum «SSPH+ Faculty Member» ernannt. Die SSPH+ bündelt die akademische Public-Health-Expertise von zwölf Schweizer Universitäten.