«Wir sind alle Menschen»

Alltag, Hürden und Chancen: Die Psychiatrie stellt hohe Anforderungen an Pflegefachkräfte. Ein «Brennpunkt» mit Franziska Rabenschlag*.

Der Pflegeberuf in der Psychiatrie ist mit hoher emotionaler Belastung und Stress verbunden. Warum wählt jemand diesen Beruf?
Franziska Rabenschlag: Bei nicht wenigen ist es die Erfahrung von Krankheitsfällen im nahen Umfeld oder mit Familienangehörigen, die den Wunsch nach einem Pflegeberuf in der Psychiatrie weckt. Ausserdem bin ich überzeugt, dass bei den meisten ein, vielleicht manchmal unklarer, innerer Wunsch vorhanden ist, tatsächlich zu «helfen» oder etwas «verbessern» zu können.

Nicht alle können mit psychisch erkrankten Menschen umgehen, insbesondere mit Patientinnen und Patienten, die schwere Symptome zeigen. Wie gehen Sie bei der Einstellung vor?
Wir haben Leitfragen, die wir stellen. Je nach Funktion, vertiefen wir die Fragen in diese Richtung. Wir suchen sorgfältig und zum Teil aufwändig aus, ob jemand in ein Team oder für diese Aufgabe passt. Die Pflegenden gehen dann meistens einen Tag schnuppern. Wir führen zudem Zweitgespräche mit den Personen durch, die dann auch im Team zusammenarbeiten werden.

Gibt es Abteilungen, in denen Sie eher Pflegefachmänner statt -frauen einstellen, zum Beispiel in der Forensik, da dort von einzelnen Patientinnen und Patienten ja auch eine gewisse Gefahr ausgehen kann?
Das möchten wir explizit nicht, das würde ein Bild aufrecht erhalten, das lediglich von einem Vorurteil genährt ist. Ein geschlechtergemischtes Team ist vorteilhaft, auch für die Betreuung der Patientinnen und Patienten. Klar, das ist nicht immer möglich, weil bei einer Anstellung ja verschiedene Faktoren mitspielen. Was ich aber bemerke, ist, dass gewisse Arbeitsbedingungen nicht mehr so gern übernommen werden, wie zum Beispiel lange Nachtschichten alleine. Persönlich denke ich, dass dies eine nicht mehr zeitgemässe Arbeitsbedingung in der psychiatrischen Pflege ist – unabhängig vom Geschlecht.

Wie gehen Sie damit um, wenn Pflegende von Patientinnen oder Patienten angegriffen werden?
Wir nehmen das sehr ernst und haben ein ziemlich gutes Verfahren, wie wir mit solchen Situationen umgehen. Es gibt ein Meldeverfahren, indem die Schwere, die situative als auch die von den Betroffenen wahrgenommene, mit einer Zahl von 1 bis 10 angegeben werden kann. In jedem Fall nimmt die direkte Führungsperson Kontakt auf und bespricht das Ereignis, fragt nach Bedürfnissen oder nimmt den Vorfall mit in die Supervision. Je nach Schweregrad nehmen weitere Personen Kontakt mit der oder dem betroffenen Mitarbeitenden auf. Wir haben interne und externe Unterstützungspersonen für solche Ereignisse, seien es wörtliche Beschimpfungen, Drohungen, tätliche Angriffe oder sexuelle Übergriffe.

Haben Sie selber als Pflegende gearbeitet?
Ich habe jahrelang als Pflegefachperson gearbeitet, im akuten Bereich und im ambulanten Rahmen, und während des Studiums vor allem nachts. Die Arbeit mit psychoseerkrankten Menschen ist und war mein liebstes Betätigungsfeld.  

Welche Strategien helfen, eine gesunde Balance zwischen Empathie und professioneller Distanz zu wahren?
Die Tätigkeiten von Pflegenden sind grundsätzlich gekennzeichnet durch eine grosse Nähe zu anderen Menschen. Wir sind oft stundenlang auch physisch nahe bei Patientinnen und Patienten, sind in ihrer Privatsphäre, tagsüber und während der Nacht. «Die professionelle Distanz» ­– der Begriff und das Verständnis haben sich mit der Einführung von «Recovery» und dem Einbezug von «Peers» übrigens deutlich und positiv verändert ­– wird mehr und mehr durch das Verständnis einer «menschlichen Nähe» abgelöst. Heute gehen wir in der psychiatrischen Pflege davon aus, dass wir alle auch selber Erlebnisse von Krankheit oder Schwäche kennen und miteinbeziehen sollten. Hinzu kommt eine Reflexion in Form von Supervision oder einer eigenen Therapie, um sich als Pflegefachkraft im Eigenen oder den Erlebnissen anderer auszukennen.

An den UPK wird das Konzept der «Open Doors» seit langem praktiziert. Was heisst das für die Pflege?
Der Fokus der Beziehungsarbeit rückt in den Vordergrund. Das Konzept ist für alle anspruchsvoll – aber bereichernd. Es möchte niemand mehr zurück, schliesslich profitieren alle davon.

Die UPK bieten seit sieben Jahren auch das beliebte Home Treatment an. Wo liegen hier die Herausforderungen für die Pflege?
Die Patientinnen und Patienten sind damit tatsächlich sehr zufrieden. Auch unsere Mitarbeitenden schätzen das Home Treatment, obschon es bezüglich Nähe und Distanz recht anspruchsvoll ist. Die Pflegenden arbeiten ja meistens alleine mit den jeweiligen Menschen, sie betreten deren private Räume, den Lebensraum, sind Gäste. Und sie können sich nicht einfach mal kurz auf der Station mit Kolleginnen und Kollegen besprechen.

Sie machen an den UPK auch Führungen – und die UPK Basel gibt es schon bald seit 150 Jahren. Wie hat sich der Pflegeberuf gewandelt?
Die Akademisierung der Pflegeberufe vor 20 Jahren hat neue Arbeitsbereiche und Karrierewege geboten. Damit verbunden sind aber auch andere Herausforderungen wie zum Beispiel die Interdisziplinarität beziehungsweise Aufgabenklärung zwischen den verschiedenen Disziplinen Medizin, Psychologie und Soziale Arbeit. Neue Konzepte haben Einzug in die Psychiatrie gehalten, und die medizinischen, pflegerischen und therapeutischen Aufgaben haben sich teils stark verändert. Heute sind in der Psychiatrie Werte wie der Schutz oder die Förderung der Autonomie der Patienten, die Vermeidung von Zwang und Restriktion zentral. Mit früher ist das nicht mehr vergleichbar – auch nicht mit den in den Köpfen vieler noch verhafteten überholten und falschen Bildern über die Psychiatrie und Vorurteilen.

Und wie stark unterscheidet sich der Pflegeberuf in einer Psychiatrie von Pflegeberufen an anderen Orten?
Unsere Pflegerinnen und Pfleger sehen viel Leid, das auf den ersten Blick vielleicht gar nicht ersichtlich ist. Die Menschen, die zu uns kommen, sind psychisch belastet, haben vielleicht viele Misserfolge, Krankheitsphasen, prägende Erlebnisse erfahren. Es gilt, mit Empathie, Mitgefühl und Fachwissen einen Patienten oder eine Patientin in seiner Situation in sehr kurzer Zeit kennenzulernen und zu erfassen, Dinge oder Situationen für ihn zu ordnen, zu planen, zu übernehmen oder zum Beispiel Anschlusslösungen zu finden. Dies alles passiert in einem interdisziplinären Team. Dann haben wir ganz unterschiedliche Abteilungen und es ist etwas anderes, ob jemand mit Kindern und Jugendlichen arbeitet oder mit Psychosepatientinnen und -patienten. Oder die manchmal hektische Arbeit in unserer Zentralen Aufnahme (ZA), die rund um die Uhr offen ist. Hier treffen wir auf Menschen in höchster Anspannung, Angst, Verwirrung, Verzweiflung oder Aggression. Es kann ja auch sein, dass mitten in der Nacht ein sehr aufgebrachter Mensch von der Polizei zu uns gebracht wird und erst einmal Hilfe und Schutz braucht. Um dieses breite Spektrum der verschiedenen Settings abzudecken, braucht es diagnosespezifisches Wissen, das überaus spannend ist und für unsere Disziplin weitere Karrierechancen bietet.

Haben Sie oft mit Ausfällen von Pflegenden wegen psychischer Erschöpfung zu kämpfen?
Dieses Thema sehe ich tatsächlich bei langjährig tätigen Mitarbeitenden, die meist ein hohes Arbeitsethos haben. Sie fallen nicht aus, bemerken aber trotzdem eine gewisse Müdigkeit. Hier sind Vorgesetzte besonders wichtig. Sie müssen aufmerksam sein, unterstützen und wenn nötig die Arbeitssituation anpassen. Zudem kann einem ein Schicksal manchmal schon sehr nahegehen. Wir sind alle Menschen.

Eine kürzlich von der Universität Bern veröffentlichte Studie zeigt, dass die Zufriedenheit des Pflegepersonals in Spitälern trotz steigender Arbeitsbelastung zugenommen hat.
Ich glaube schon, dass sich jemand für einen solchen Beruf mit der Idee entscheidet, etwas Sinnstiftendes und Gutes zu tun. Auch die Möglichkeit, in einem Team eng und kollegial zusammenzuarbeiten, ist für viele eine wunderbare Form der Arbeit. Und dann geben uns unsere Patientinnen und Patienten auch viel zurück. «Die Psychiatrie» als Spiegel der Gesellschaft und nah bei den Menschen ist für mich immer noch und unbestritten das beste und interessanteste Arbeitsfeld.

*Dr. Franziska Rabenschlag leitet an den UPK die Pflege der Zentren für Diagnostik und Krisenintervention (ZDK) sowie für Psychotische Erkrankungen (ZPE) und der Privatklinik (UPKP). Sie hat Pflege- und Gesundheitswissenschaften studiert.

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